Erläuterungen zu Blatt 9

Synthetisches Urteil a priori
Erkenntnis, die auf Sinneserfahrung basiert kann niemals Anspruch erheben auf absolute Gewissheit. Die Sinne können täuschen. All dies, was gewiss ist, was nicht in Zweifel gezogen werden kann, muss sich deshalb, so Kant, bereits „a priori“, vor jeder Sinneserfahrung im erfahrenden Subjekt befinden. Dabei unterscheidet er  das Anschauungsvermögen, das Raum und Zeit umfasst und das Erkenntnisvermögen, das den Verstand als Vermögen der Regeln enthält. Anschauungs- und Erkenntnisvermögen strukturieren die noch unstrukturierten Sinnesdaten, was im Endeffekt zu einer bewussten Erfahrung führt.

Die Rose, die ein Mensch bewusst erfährt, existiert definitiv nicht in der Form „an sich“, unabhängig vom menschlichen Erkenntnisapparat. Sie richtet sich also zumindest auch nach dem Erkenntnis (hier gemeint: Erkenntnisvermögen), ist Folge von Begriffen a priori (den Kategorien, die im Verstand „sind“), die die Sinnesdaten strukturieren. Die einzige Kategorie, die wir hier behandeln ist jene der Kausalität.
Damit ist ein erstes Grundgerüst gegeben. Kant interessiert sich nun insbesondere dafür, wie „synthetische Urteile a priori“ möglich sind.

Unter Urteil versteht man in der Logik eine Aussage, die über ein Subjekt und ein Prädikat verfügt: alles, was geschieht (Subjekt) hat eine Ursache (Prädikat).
Analytisch ist ein Urteil, dem keine neuen Informationen hinzugefügt werden. Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann. Dieses Urteil (diese Aussage) ist analytisch wahr, da es sich um eine rein begriffliche Wahrheit handelt. Sie ist unabhängig von der sinnlichen Erfahrung gültig. Es handelt sich dabei um ein analytisches Urteil a priori.

Ein synthetisches Urteil fügt dem Begriff neue Informationen hinzu. „Diese Rose ist rot“ ist eine Aussage, die nicht analytisch ist, sondern zusammengesetzt aus dem Begriff der „Rose“ und dem Begriff „rot“, wobei die Aussage abhängig ist von den Sinnesdaten. Dies nennt Kant a posteriori – das Urteil gilt nicht unabhängig von den Sinnesdaten, von der Erfahrung und kann niemals absolut gewiss sein. Das „rot“ könnte auch eine Täuschung sein.

Kants Grundfrage ist es nun, ob es synthetische Urteile a priori gibt, also Urteile, die einem Begriff etwas neues hinzufügen, ohne dabei auf die Sinnesdaten angewiesen zu sein. Die Bedeutung dieser Frage besteht darin, dass nur so gewisse, nicht bezweifelbare Urteile gefällt werden können, die Neues aussagen! Mit dem unverheirateten Junggesellen lässt sich kaum Philosophie betreiben – lassen sich keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Gibt es aber synthetische Urteile unabhängig von den Sinnen, gibt es unbezweifelbare und gewisse Aussagen, die zu neuen Erkenntnissen führen.

Kants Antwort ist klar: es gibt synthetische Urteile a priori – deren Nachweis und welche das sind, ist eine der Hauptaufgabe seines Werks. Als Beispiel verwendet er die Kausalität. „Alles, was geschieht hat seine Ursache“ sei ein synthetische Urteil a priori. Definitiv sei es nicht analytisch, da die Ursache im Geschehenden nicht enthalten sei. Im Gegensatz zum Beispiel zur Zeit, die für jeden Gegenstand gelte – und damit analytisch im Begriff des Gegenstandes enthalten sei. Eine Rose, die nicht in der Raumzeit existiert, ist keine Rose. Dass die Rose jedoch verursacht ist, ist für Kant keine analytische Wahrheit, sondern etwas Zusammengesetztes – und gleichwohl absolut Gewisses: ein synthetisches Urteil a priori.

Dass der Erde Drehung verursacht ist, ist also ebenfalls ein synthetisches Urteil a priori und damit gewiss. Die Erkenntnis beruht alleine auf Begriffen, die bereits vor jeder Erfahrung im Subjekt vorhanden sind – jede Drehung ist verursacht und damit auch der Erde Drehung. Zumindest als Teil der Erfahrung. Denn die a priorischen Begriffe, (Kategorien), zu denen auch die Kausalität gehört, gelten laut Kant nur für die (menschliche) Erfahrung und nicht für die Dinge, wie sie unabhängig von der menschlichen Erfahrung existieren.
Wie die Welt unabhängig von der menschlichen Erfahrung ist, darüber lässt sich laut Kant nichts aussagen. Über das „Ding an sich“, wie es unabhängig von Zeit und Raum „ist“ (diese sind ja nur Teil des menschlichen Anschauungsvermögens) und wie das „Ding an sich“ unabhängig von den Kategorien „ist“, darüber lasse sich nur schweigen.
Erstaunlich ist jedoch, dass Kant zumindest eine negative Bestimmung gibt: Für das Ding an sich gelten weder Zeit noch Raum, gelten nicht die a priorischen Begriffe (Kategorien). Dieses „laute“ Schweigen wird auf Blatt 15 kritisiert werden. Kants Idee dahinter: Raumzeit und Kausalität werden nicht durch die Sinne vermittelt und müssen deshalb bereits vor jeglicher Erfahrung im Subjekt vorhanden sein. Sie werden vom Subjekt auf die Sinnesdaten angewandt – und können deshalb nicht unabhängig vom Subjekt existieren. Dieser auf den ersten Blick einleuchtende Gedanke ist aber keinesfalls zwingend! Doch dazu später mehr.

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